O.S. Nagornaja u.a.: Sovetskaja kul'turnaja diplomatija

Cover
Titel
Sovetskaja kul'turnaja diplomatija v uslovijach cholodnoj vojny, 1945–1989.


Autor(en)
Nagornaja, Oksana Sergeevna; Nikonova, Olga Jurevna; Popov, Aleksej Dmitrievič; Raeva, T.V.; Tregubov, N.A.
Erschienen
Moskau 2018: Rosspen
Anzahl Seiten
445 S.
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Natalia Donig, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte Osteuropas und seiner Kulturen, Universität Passau

Kollektivmonografien kommen in der Geschichtswissenschaft nicht gerade häufig vor. Noch seltener sind Gesamtdarstellungen, die die sowjetische Kulturdiplomatie im Kalten Krieg zum Gegenstand haben. Ungeachtet einer inzwischen beachtlichen Fülle an Publikationen zum sogenannten kulturellen Kalten Krieg, die in ihrer überwiegenden Mehrzahl westliche Akteure und deren Handeln untersuchen, waren Forschungen zu den sowjetischen Bemühungen, die eigene kulturelle und systemische Überlegenheit zu kommunizieren, bislang ein Desiderat. Die hier zu rezensierende Monografie russischer Historiker/innen, die im Rahmen eines vom Russischen Wissenschaftsfond finanzierten Projekts entstanden ist, schließt daher eine erhebliche Forschungslücke.

Dabei bietet das Format einer Kollektivmonografie ohne Zweifel erhebliche Vorteile: Innerhalb von nur zwei Jahren haben die Autor/innen nicht nur ein neues Werk vorgelegt, sondern auch eine gleichnamige Quellenedition herausgebracht.1 Zugleich aber sind auch die Einschränkungen eines solchen Kollektivunterfangens nicht zu übersehen: Die Auswahl der als „Repräsentationen der UdSSR in den Räumen interkultureller Kommunikation“ bezeichneten Felder und anderer Fallbeispiele reflektiert vor allem die Forschungsinteressen der beteiligten Autor/innen, andere für das Forschungsgebiet relevante Bereiche, deren Berücksichtigung man sich gewünscht hätte (z.B. Gastspiele sowjetischer Künstler/innen, Teilnahme an internationalen Filmfestivals, die Verbreitung von Medien im Ausland) bleiben dagegen außen vor oder werden nur am Rande gestreift.

Nichtsdestotrotz leisten die Autor/innen mit dem vorliegenden Buch eine wichtige Grundlagenarbeit. Sie erschließen darin nicht nur die institutionellen Strukturen der sowjetischen Kulturdiplomatie, sondern analysieren auch die diskursive und mediale Ausgestaltung außenpolitischer Repräsentationen der Sowjetunion sowie kommunikative Praktiken der beteiligten Akteure. Obwohl die Befunde des zweiten Kapitels („Institutionen“) für sich genommen nicht überraschend sind – so hatte das Außenministerium die leitende Funktion (daran änderte auch das 1957 geschaffene Staatskomitee für kulturelle Beziehungen mit dem Ausland beim Ministerrat der UdSSR wenig), die eigentliche Kulturarbeit leisteten die „ausführenden Organisationen“ (organizacii-ispolniteli) wie etwa die VOKS, später der SSOD, die Akademie der Wissenschaften und andere, während das ZK der KPdSU den Anspruch erhob, alles zu kontrollieren und über alles zu entscheiden – bietet das Kapitel einen bislang fehlenden zusammenfassenden Überblick zu einer Vielzahl an Organisationen und ihren strukturellen Veränderungen über einen längeren Zeitraum hinweg. Deutlich wird auch, dass unter den beteiligten Institutionen Konkurrenzverhältnisse bestanden, die allerdings nicht detailliert aufgezeigt werden. Die potenzielle Effektivität der sowjetischen Kulturdiplomatie sei durch zum Teil unklare funktionale Differenzierung einzelner Instanzen auf verschiedenen Ebenen beeinträchtigt gewesen. Zugleich aber trugen der häufige Improvisationscharakter und Lücken in der Kontrolle zur Entstehung freier Handlungsräume bei, in denen sich sowohl bevollmächtigte Vertreter als auch inoffizielle „Botschafter der sowjetischen Kulturdiplomatie“ bewegten und durch persönliche Kontakte „Defizite des Systems“ auszugleichen vermochten (S. 85) – eine Andeutung, über deren konkreten Gegenstand man gerne Näheres erfahren hätte.

Im dritten Teil konzentriert sich die Kollektivmonografie auf einige markante Aspekte sowjetischer außenpolitischer Repräsentationen, etwa die Teilnahme der Sowjetunion an Weltausstellungen (EXPO) und an regelmäßig stattfindenden internationalen Messen im sozialistischen Lager, den Bildungs- und Wissenschaftsaustausch, die Ausrichtung der Jugendfestspiele 1957 und 1985 sowie der Olympischen Spiele 1980 in Moskau als „Megaevent“ oder die Instrumentalisierung des historischen Gedächtnisses als Instrument der Kulturdiplomatie (Erinnerung und festliches Begehen der Jahrestage der Oktoberrevolution und des Sieges im „Großen Vaterländischen Krieg“ im In- und Ausland). Hier zeigen die Autor/innen ein ganzes Spektrum an untersuchungswürdigen Themen auf und betonen, dass einerseits jeweils ein spezifisches Bild von der Sowjetunion transportiert werden sollte, andererseits Transferhandlungen aber nie einseitig und schon gar nicht vom Zentrum vollständig kontrollierbar waren. In der Kommunikation zwischen Menschen aus verschiedenen Ländern fand so eine häufig gar nicht erwünschte Verflechtung von Kulturen, Sinnes- und Wissenstransfer statt.

Ein gesondertes Kapitel ist der Praxis sowjetischer „Friedensstiftung“ im Kalten Krieg gewidmet, in dem spezielle Organisationen wie das sowjetische Friedenskomitee und das sowjetische Friedensfond sowie der sowjetische Friedensdiskurs in seiner Genese, Widersprüchlichkeit und Anpassung etwa an die Krisen (Ungarn 1956, Prag 1968, Afghanistan 1979) analysiert werden. Gerade die Friedensbewegung in der Sowjetunion erfuhr mit der Zeit eine starke Bürokratisierung und Formalisierung, und die Verleihung der Stalin-, später Lenin-Friedenspreise glich der symbolischen und materiellen Auszeichnung gegenüber der Sowjetunion loyal gesinnter Persönlichkeiten.

Im Folgekapitel wird der internationale Tourismus als „Instrument der soft power“ untersucht. Auch hier liegt der Schwerpunkt auf der institutionellen Seite: Die wichtigsten Organisationen der Sowjetunion für den ausländischen Tourismus waren „Inturist“, der bereits in der Vorkriegszeit bewährte Techniken der Gastlichkeit (techniques of hospitality nach P. Hollander) entwickelt hat, und „Sputnik“, der erst 1958 speziell für Reisen von Jugendlichen gegründet wurde. Im Kontext der sowjetischen Kulturdiplomatie gipfelte der inländische Auslandstourismus in der Formel die Sowjetunion „sehen – verstehen – lieben“ (S. 294), während sowjetischen Touristen im Ausland eine wichtige Rolle als Repräsentanten sowjetischer Werte und Ideen zukam, weshalb diese sorgfältig ausgesucht und entsprechend instruiert wurden. Dennoch blieb der politisch-ideologische Charakter des sowjetischen Auslandstourismus auf der Strecke, denn auch der „neue Mensch“ konnte einem deutlich höheren Lebensstandard im Westen kaum widerstehen und vergaß schnell seine Mission beim Betreten eines Supermarkts.

Als besonders gelungen darf man den ersten Teil des letzten Kapitels betrachten, das den handelnden Akteuren und Zielgruppen der sowjetischen Kulturdiplomatie gewidmet ist. Das Beispiel des Schriftstellers stalinistischer Prägung Konstantin Fedin, auf dessen unveröffentlichte Tagebücher sich die Autor/innen stützen, zeigt anschaulich die Grenzen der sowjetischen kulturpolitischen Anstrengungen: Chaotisch, schlecht organisiert, zunehmend formelhaft beschreibt Fedin, der jahrelange Vorsitzende der Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft, die Bemühungen der VOKS/SSOD und anderer Stellen, gewünschte Botschaften zu formulieren und zu transportieren. Auch er selbst wendete als Akteur der sowjetischen Kulturdiplomatie erhebliche Zeit auf, erhielt aber zugleich Privilegien in Karriere und Konsum.

Insgesamt bietet die rezensierte Untersuchung eine gute Grundlage für weitere, länderspezifische Studien. Das Verdienst der Publikation, die erfreulicherweise auch westliche Forschung rezipiert, liegt vor allem in der Gesamtschau der kulturpolitischen Institutionen und ihrer Praktiken. Ein Manko der Untersuchung besteht allerdings darin, dass sich die Mehrheit der ausgewählten Fallbeispiele im sowjetischen Inland ereignete, so dass sich die Frage stellt, wo und wie denn die sowjetische Kulturdiplomatie im Ausland stattfand. Auch wird nicht systematisch zwischen der sowjetischen Politik gegenüber Ländern des Ostblocks, blockfreien Ländern und im Westen unterschieden – selbst bei der Anlage der Studie nach Gesichtspunkten der politischen Praxisformen wäre eine Reflexion über mögliche Unterschiede doch wünschenswert. Auffälligerweise wird dann auch das westliche Ausland als Zielscheibe sowjetischer Kulturdiplomatie deutlich seltener als die sozialistischen oder Entwicklungsländer betrachtet, was möglicherweise auf die Quellenproblematik zurückzuführen ist (die dann wiederum zu thematisieren wäre). In theoretischer Hinsicht leuchtet nicht ein, warum zu Beginn des Buches eine lange Rezeption von Machttheorien (Kapitel 1.2.) erfolgte, wenn das Konzept an keiner Stelle aufgegriffen wird. Genauso gut hätte hier auch eine andere, z.B. kommunikations- oder medientheoretische Reflexion stehen können, zumal die Autor/innen das Konzept der Kulturdiplomatie über den Kommunikationsbegriff definieren.

Aus formaler Sicht ist noch anzumerken, dass die Studie eine verbreitete Unart russischer Publikationen fortführt, nach der Archivalien nur durch die Nennung der Bestandssignatur zitiert werden, sodass der Leser oder die Leserin nichts von der Art der Quelle oder dem Titel des Dokuments erfährt. Vereinzelt kommen auch Lücken im Lektorat vor, so werden nicht alle benutzten Archivbestände auch im Quellenverzeichnis aufgeführt (z.B. RGASPI, f. M-3).

Jenseits solcher zu verkraftender Monita legen die Verfasser/innen jedoch eine gut recherchierte und anregende Untersuchung vor, die Desiderate angeht, aber auch Potential zur weitergehenden Schärfung einzelner Thesen und Schilderungen birgt. Diese werden sicherlich folgen.

Anmerkung:
1 Sovetskaja kul’turnaja diplomatija v gody Cholodnoj vojny (1945–1989). Sbornik dokumentov, Čeljabinsk 2017.

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